Starke Worte von Agota Lavoyer
Es ist sehr wichtig, dass Eltern sich selber über sexuelle Gewalt an Kindern informieren und dass sie sie immer wieder thematisieren: in der Familie, in der Nachbarschaft, am Elternabend oder an der Infoveranstaltung der Pfadi. Es gibt nichts abschreckenderes für Täter:innen als Familien, die offen über sexuelle Gewalt an Kindern reden und sich nicht scheuen zu intervenieren, wenn jemand ihrem Kind im Alltag zu nahe kommt. Hinzu kommt die Aufklärung der Kinder. Wenn ein Täter oder eine Täterin ein Kind manipuliert, ist es für Kinder enorm schwierig, ‹Stopp!› zu sagen. Aber je mehr ein Kind über sexuelle Gewalt weiss, desto eher erkennt es sie, und desto eher kann es die Tat offenlegen. Im besten Fall können die Taten frühzeitig gestoppt werden, bevor das Kind heftige Folgen davonträgt. Wir müssen uns bewusst sein: für Kinder ist sexuelle Gewalt extrem schwierig zu erkennen. Körperliche Gewalt ist für jeden erkennbar, das muss man nicht einmal einem Kleinkind erklären. Ein Kind spürt und weiss, dass ein Schlag etwas Schlechtes ist. Aber verpackt ein Täter die sexuelle Gewalt in ein Spiel, hat ein Kind, das nie darüber aufgeklärt wurde, kaum Chance, zu bemerken, dass dies nicht ok ist. Wir haben auf unserer Opferhilfestelle sehr viele Beispiele dieser Art. Oft fangen die Grenzverletzungen als noch vermeintlich lustiges Spiel an, das dann nach und nach in massivere sexuelle Gewalt umschlägt. Das ist auch eine Täterstrategie: Die Täter beginnen mit einer Handlung, von der sie, falls es rauskommt, noch behaupten können, das sei nur ein Spiel gewesen. Die Gewalt wird massiver, wenn die Täter sich sicher genug fühlen, dass das Kind niemandem etwas davon erzählt, weil er es schon so manipuliert hat. Altersadäquate Sexualaufklärung ist deshalb wahnsinnig wichtig. Und zwar nicht nur über Sexualität, sondern eben auch über sexuelle Gewalt.
Agota Lavoyer
selbständige Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferberatung, Mutter von vier Kindern