Starke Worte von Marco Tuberoso
Seit fast 20 Jahren arbeite ich im Bereich der Kindesmisshandlung. Ich bin auf diesem Weg dazu gekommen, für künftige Fachpersonen Kurse über die Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder zu geben. Da ich genug davon hatte, nur über das Negative zu reden, habe ich lieber begonnen, mehr über die Möglichkeiten der Erwachsenen zur Förderung einer Erziehung, die Kindern gegenüber respektvoller ist, zu sprechen. Ich beginne die Kurse jeweils mit der Frage ‹Hintern versohlen – ja oder nein?›. Diese Diskussion erscheint vielen Studierenden häufig ‹belanglos›, da sie dies als Kinder selbst erlebt haben und ‹das doch gar nicht so schlimm war›. Am Ende der Diskussion werden sich viele von ihnen erst bewusst, dass ein Kind durch so eine Tat in erster Linie eines lernt: Derjenige, der stärker ist, kann seinen Willen einem anderen aufzwingen. Sie fragen sich vielleicht nun, welche Verbindung zwischen einem Klaps auf den Po und einem sexuellen Übergriff besteht, was ja die Art von Missbrauch ist, mit der ich mich vorrangig beschäftige. Sexueller Missbrauch bedeutet, die Grenzen einer anderen Person zu überschreiten. Und der Täter zwingt bei einem sexuellen Missbrauch in jedem Fall der anderen Person seinen Willen auf. Ein Kind, das in einer Familie aufwächst, die statt der Gewalt den Dialog vorzieht, weiss eher was es bedeutet, falls eine andere Person versuchen sollte, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Ich wage deshalb, daran zu glauben, dass damit eines Tages der sich wiederholende Zyklus der Gewalt ein für alle Mal durchbrochen werden kann.
Marco Tuberoso
Psychologe, Verantwortlicher Prävention bei ESPAS, einer Fachstelle für die Prävention sexueller Gewalt in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz